Von Andrea Monda
»Aus diesem Abgrund des Schweigens hört man noch heute den lauten Schrei derer, die nicht mehr sind.« An diesem 24. November, einem regnerischen Sonntag, reist der Papst nach Nagasaki und Hiroshima, gleichsam in den Abgrund, um in der Stille auf die Stimme zu hören, ja um eine Stimme zu »sein«. In derselben Ansprache am Friedensdenkmal in Hiroshima, die diesen ereignisreichen Sonntag (vier offizielle Begegnungen, drei Flüge) abschloss, fügte der Papst hinzu: »Ich möchte mich in Demut zur Stimme all derer machen, deren Stimme nicht gehört wird und die mit Beunruhigung und Angst die wachsenden Spannungen beobachten, die unsere Zeit durchziehen, die unannehmbaren Gegensätze und Ungerechtigkeiten, die das menschliche Zusammenleben bedrohen, die schwerwiegende Unfähigkeit zur Sorge um unser gemeinsames Haus, den andauernden, krampfhaften Rückgriff auf Waffen, als ob diese eine friedliche Zukunft gewährleisten könnten.«
In Bezug auf diesen letzten Punkt, den Einsatz von Waffen, war der Appell des Papstes sehr eindringlich: »Der Einsatz von Atomenergie zu Kriegszwecken ist unmoralisch, ebenso wie der Besitz von Atomwaffen unmoralisch ist, wie ich schon vor zwei Jahren gesagt habe. Wir werden darüber gerichtet werden. Die neuen Generationen werden unser Scheitern verurteilen, wenn wir zwar über Frieden geredet, ihn aber nicht mit unserem Handeln unter den Völkern der Erde umgesetzt haben.«
Die vier Ansprachen in Nagasaki und Hiroshima kreisen um das Thema der Stimme oder besser gesagt des Erhebens der Stimme. Eine Stimme, die laut und deutlich das Wort »Frieden« sprechen muss, der aber nicht nur »Schall und Rauch« sein darf. Um dies zu vermeiden, so der Papst mit einem Zitat aus Pacem in terris von Johannes XXIII., müsse er auf der Wahrheit gründen, mit Gerechtigkeit erbaut, durch die Liebe beseelt und in der Freiheit verwirklicht werden. Papst Franziskus erhebt in Japan als Pilger des Friedens seine Stimme, um die Gewissen einer Welt wachzurütteln, die in diesem Land mehrfach tragisch verletzt wurde. Das tat er auf den Spuren von Paul VI., der 1964 vorschlug, den Ärmsten zu helfen durch einen Weltfonds, in den ein Teil der Rüstungsausgaben einfließen sollte. Als Franziskus bei seiner ersten Ansprache im Park beim Hypozentrum der Atombombenexplosion an diesen Appell erinnerte, unterstrich er, dass jene Verantwortung »uns alle einschließt und alle betrifft. Niemand kann gleichgültig bleiben angesichts des Schmerzes von Millionen von Männern und Frauen, der heute weiter an unsere Gewissen klopft; niemand kann taub sein für den Ruf des Mitmenschen, der aus seiner Verletzung aufschreit; niemand kann blind sein für die Trümmer einer dialogunfähigen Kultur.«
Weiter in die Vergangenheit zurückgehend, begab sich der Papst vom Hypozentrum des 9. August 1945 zum Ort, an dem am 5. Februar 1597 der Jesuit Paul Miki und seine Gefährten das Martyrium erlitten. Auf dem Hügel von Nishizaka betonte der Papst, dass »diese Stätte vor allem ein Denkmal der Botschaft von Ostern [ist], da es uns verkündet, dass – trotz aller gegenteiligen Beweise – nicht der Tod, sondern das Leben das letzte Wort hat«. Und auch hier richtete sich die Reflexion des Papstes nicht nur auf die Vergangenheit, sondern war ebenso offen für Gegenwart und Zukunft. Auch hier galt sein Appell einer Stimme, einer Stimme, die sich erheben muss: »Brüder und Schwestern, an diesem Ort verbinden wir uns auch mit den Christen, die heute in vielen Teilen der Welt des Glaubens wegen leiden und das Martyrium erdulden. […] Beten wir für sie und mit ihnen; erheben wir unsere Stimme, dass die Religionsfreiheit für alle und in allen Teilen der Erde gewährleistet wird, und erheben wir unsere Stimme ebenso gegen jegliche Manipulierung der Religionen«, und hier zitierte er das Dokument über die Brüderlichkeit aller Menschen von Abu Dhabi, denn diese Manipulierung ge schehe »durch die politischen Bestrebungen von Integralismus und Spaltung sowie durch maßlos gewinnorientierte Systeme und abscheuliche ideologische Tendenzen, die die Handlungen und Schicksale der Menschen manipulieren«. [...]
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