Rabat. Papst Franziskus hat am vergangenen Wochenende, 30./31. März, in Marokko für Brüderlichkeit zwischen Christen und Muslimen geworben und zum gemeinsamen Einsatz gegen Fanatismus und Fundamentalismus gemahnt. Für Migranten verlangte er während des zweitägigen Besuchs in Rabat mehr legale Einwanderungswege und eine großzügige Aufnahme. Gemeinsam mit Marokkos König Mohammed VI. unterzeichnete er einen Appell für den Erhalt des besonderen Status Jerusalems als Heilige Stadt für Juden, Christen und Muslime.
Bei der abschließenden Eucharistiefeier rief Franziskus die christlichen Gemeinden auf, »Oasen der Barmherzigkeit« in dem islamisch geprägten Land zu sein, wo nur rund 23.000 der 35 Millionen Einwohner Marokkos katholisch sind. Er sagte in seiner Predigt:
»Der Vater sah ihn schon von weitem kommen und er hatte Mitleid mit ihm. Er lief dem Sohn entgegen, fiel ihm um den Hals und küsste ihn« (Lk 15,20).
So versetzt uns das Evangelium ins Herz des Gleichnisses, das die Haltung des Vaters durchscheinen lässt, als er seinen Sohn umkehren sieht: Im Innersten berührt lässt er ihn nicht bis zum Haus kommen, sondern läuft ihm überraschend entgegen. Ein Sohn, der erwartet und ersehnt wird. Ein Vater, der ergriffen ist, als er ihn zurückkehren sieht.
Doch das war nicht der einzige Moment, wo der Vater gelaufen ist. Seine Freude wäre unvollkommen ohne die Anwesenheit seines anderen Sohnes. Daher geht er auch ihm entgegen, um ihn zum Fest einzuladen (vgl. V. 28). Doch dem älteren Sohn scheinen die Willkommensfeiern nicht gefallen zu haben. Es fiel ihm schwer, die Freude des Vaters zu ertragen, und er erkennt die Rückkehr seines Bruders nicht an. Er sagte abfällig: »der hier …, dein Sohn« (V. 30). Für ihn ist sein Bruder weiterhin verloren, weil er ihn bereits in seinem Herzen verloren hatte.
In seiner Unfähigkeit, am Fest teilzunehmen, lehnt er nicht nur seinen Bruder ab, er erkennt auch seinen Vater nicht an. Er ist lieber Waise als Bruder, er zieht die Absonderung dem Miteinander, die Bitterkeit der Festfreude vor. Er ist nicht nur unfähig, seinen Bruder zu verstehen und ihm zu verzeihen. Er kann es ebenso wenig akzeptieren, einen Vater zu haben, der fähig ist zu vergeben, der bereit ist, zu warten und darüber zu wachen, dass keiner draußen bleibt. Also einen Vater, der fähig ist, Mitgefühl zu empfinden.
Auf der Schwelle jenes Hauses scheint sich das Geheimnis unseres Menschseins zu zeigen: auf der einen Seite gab es das Fest für den wiedergefundenen Sohn und auf der anderen ein gewisses Gefühl von Betrogensein und Empörung wegen der Feier seiner Rückkehr. Auf der einen Seite die Gastfreundschaft für einen, der das Elend und die Schmerzen erfahren hatte, der sogar so weit gekommen war, zu stinken und sich von dem, was die Schweine fressen, ernähren zu wollen, auf der anderen der Ärger und der Zorn, weil man Raum schafft für jemanden, der eine solche Umarmung nicht verdient hatte.
So kommt einmal mehr die Spannung ans Licht, die sich innerhalb unserer Völker und Gemeinschaften findet, einschließlich in uns selbst. Eine Spannung, die seit Kain und Abel in uns existiert und der wir ins Auge schauen sollten: Wer hat das Recht, bei uns zu bleiben, einen Platz an unseren Tischen und in unseren Versammlungen, in unseren Sorgen und Aufgaben, auf unseren Plätzen und in unseren Städten zu finden? Es scheint, dass die Frage des Brudermörders immer wieder laut wird: Bin ich etwa der Hüter meines Bruders (vgl. Gen 4,9). [...]
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