Ich freue mich, euch in diesem Land begegnen zu können, das von einem Weg der Anerkennung, Zusammenarbeit und Freundschaft zwischen den verschiedenen christlichen Kirchen geprägt ist. Sie waren in der Lage, Einheit zu schaffen und gleichzeitig ihren jeweiligen Reichtum und ihre Einzigartigkeit zu bewahren. Ich glaube, man kann sagen, dass dies »gelebte Ökumene« ist, und dies stellt eines der besonderen Merkmale Lettlands dar. Ohne Zweifel ein Grund zur Hoffnung und zum Dank.
Ich danke Erzbischof Janis Vanags, dass er uns die Tür dieses Hauses für unser Gebetstreffen geöffnet hat, dieses Domes, der seit mehr als achthundert Jahren das christliche Leben dieser Stadt beherbergt. Er ist ein treuer Zeuge so vieler unserer Brüder und Schwestern, die hierhergekommen sind, um Anbetung zu halten, ihre Bitten vor Gott zu bringen, die Hoffnung in Zeiten des Leidens aufrechtzuerhalten und Ermutigung zu finden, um Momenten großer Ungerechtigkeit und schweren Leids zu begegnen. Heute beherbergt er uns, damit der Heilige Geist weiterhin kunstvoll Verbindungen der Gemeinschaft unter uns knüpfen kann und so auch uns zu Handwerkern der Einheit unter unseren Mitmenschen mache, damit unsere Unterschiede nicht zu Spaltungen führen. Lassen wir zu, dass der Heilige Geist uns mit den Waffen des Dialogs, des Verständnisses, der Suche nach gegenseitigem Respekt und Brüderlichkeit bekleidet (vgl. Eph 6,13-18).
In dieser Kathedrale befindet sich eine der ältesten Orgeln Europas, die zur Zeit ihrer Einweihung die größte der Welt war. Wir können uns vorstellen, wie sie das Leben, die Kreativität, die Phantasie und die Frömmigkeit all jener begleitete, die sich von ihrem Klang berühren ließen. Sie war ein Werkzeug Gottes und der Menschen, um den Blick und das Herz zu erheben. Heute ist sie ein Wahrzeichen dieser Stadt und dieser Kathedrale. Für den, der an diesem Ort heimisch ist, ist sie mehr als eine monumentale Orgel, sie ist Teil seines Lebens, seiner Tradition, seiner Identität. Für den Touristen hingegen ist sie freilich nur ein weiteres Kunstwerk, das man anschauen und fotografieren kann.
Und das ist eine Gefahr, der man immer ausgesetzt ist: dass man vom Einheimischen zum Touristen wird. Dass wir aus dem, was uns Identität verleiht, ein Objekt der Vergangenheit machen, eine Touristenattraktion, ein Museum, das uns an die Geschehnisse einer früheren Zeit erinnert, von hohem historischen Wert, das aber aufgehört hat, das Herz derer zu bewegen, die es hören.
Mit dem Glauben kann uns genau das Gleiche passieren. Es kann geschehen, dass wir uns im Glauben nicht mehr »heimisch« fühlen und dann zu »Touristen« werden. Man könnte sogar sagen, dass unserer gesamten christlichen Tradition dasselbe passieren kann: dass sie auf ein Stück Vergangenheit reduziert wird und – eingeschlossen in den Mauern unserer Gotteshäuser – keine Melodie mehr zu hören ist, die in der Lage wäre, das Leben und das Herz derjenigen, die sie hören, zu bewegen und zu inspirieren. Das Evangelium, das wir gehört haben, bekräftigt indes, dass unser Glaube nicht versteckt werden soll, sondern in den verschiedenen Bereichen der Gesellschaft bekannt zu machen und zum Klingen zu bringen ist, so dass alle seine Schönheit betrachten und von seinem Licht beschienen werden können (vgl. Lk 11,33). [...]
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