Zu Beginn seines ersten vollen Besuchstags in der Slowakei begegnete Papst Franziskus am Montagmorgen, 13. September, im Garten des Präsidentenpalastes in Bratislava Vertretern aus Politik, Diplomatie und Zivilgesellschaft. Mit Verweis auf die in Zentraleuropa verbreitete Willkommensgeste von Brot und Salz lobte er die Gastlichkeit als wesentliche Tugend. Die slowakische Präsidentin Zuzana Caputová hatte zuvor in ihrer Ansprache die christliche Tradition ihres Landes betont. Sie würdigte den Papst als »eine der aktuell größten moralischen und spirituellen Persönlichkeiten der Menschheit«. Vor den Ansprachen hatte Caputova Franziskus offiziell an ihrem Amtssitz willkommen geheißen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin,
Mitglieder der Regierung und des diplomatischen Korps,
verehrte weltliche und kirchliche Würdenträger,
meine Damen und Herren,
ich bringe meinen Dank an die Präsidentin Zuzana Caputová für die Willkommensworte zum Ausdruck, die sie auch in eurem Namen und im Namen der Bevölkerung an mich gerichtet hat. Ich grüße euch alle und bringe euch meine Freude über meinen Aufenthalt in der Slowakei zum Ausdruck. Ich bin als Pilger in ein junges, aber geschichtsträchtiges Land gekommen, in ein Land mit tiefen Wurzeln, das sich im Herzen Europas befindet. Ich befinde mich wahrlich in einem »Mittelland«, das viele Veränderungen erlebt hat. Diese Gebiete dienten dem Römischen Reich als Grenze und waren Orte des Austausches zwischen dem Christentum des Westens und des Ostens; von Großmähren zum Königreich Ungarn, von der tschechoslowakischen Republik bis heute habt ihr es unter nicht wenigen Prüfungen verstanden, euch auf grundsätzlich friedliche Weise zu integrieren und voneinander zu unterscheiden: vor achtundzwanzig Jahren bewunderte die Welt die konfliktfreie Entstehung zweier unabhängiger Staaten
Diese Geschichte beruft die Slowakei dazu, eine Botschaft des Friedens im Herzen Europas zu sein. Das legt der große blaue Streifen eurer Flagge nahe, die die Geschwisterlichkeit unter den slawischen Völkern sinnbildlich darstellt. Wir bedürfen der Geschwisterlichkeit, um eine immer notwendigere Integration zu fördern. Sie drängt jetzt, in einem Augenblick, in dem sich nach sehr harten Monaten der Pandemie zusammen mit vielen Schwierigkeiten ein ersehnter wirtschaftlicher Aufschwung auftut, der von dem Konjunkturpaket der Europäischen Union begünstigt wird. Man kann dennoch Gefahr laufen, sich von der Hast und der Verführung des Gewinns mitreißen zu lassen, und so eine vorübergehende Euphorie zu erzeugen, die anstatt zu ver einen spaltet. Darüber hinaus genügt der wirtschaftliche Aufschwung allein nicht in einer Welt, in der wir alle miteinander verbunden sind, wo wir alle ein Mittelland bewohnen. Während an verschiedenen Fronten Kämpfe um die Vorherrschaft fortbestehen, möge dieses Land seine Botschaft der Integration und des Friedens neu bekräftigen, und Europa möge sich durch eine grenzüberschreitende Solidarität auszeichnen, die es ins Zentrum der Geschichte zurückführe.
Die slowakische Geschichte ist unauslöschlich vom Glauben geprägt. Ich hoffe, dass dieser natürlicherweise helfe, Vorsätze und Gefühle der Geschwisterlichkeit zu nähren. Ihr könnt dabei aus dem großartigen Leben der heiligen Brüder Kyrill und Methodius schöpfen. Sie haben das Evangelium verbreitet, als die Christen des Kontinents vereint waren; und noch heute verbinden sie die Konfessionen dieses Gebiets. Sie betrachteten sich als allen zugehörig und suchten nach der Gemeinschaft mit allen: Slawen, Griechen, Lateinern. Ihre Festigkeit im Glauben schlug sich so in einer ungekünstelten Offenheit nieder. Das ist ein Erbe, das ihr in diesem Augenblick gerufen seid aufzunehmen, um auch in dieser Zeit ein Zeichen der Einheit zu sein.
Liebe Freunde, diese Berufung zur Geschwisterlichkeit möge nie aus eurem Herzen verschwinden, sondern sie möge immer die liebenswürdige Natürlichkeit begleiten, die euch kennzeichnet. Ihr versteht es, der Gastlichkeit große Aufmerksamkeit zuzuwenden: Die typischen Ausdrucksformen der slawischen Empfangsweise, die den Besuchern Brot und Salz darbieten, beeindrucken mich. Und ich möchte nun gerne diese einfachen und wertvollen Gaben, die vom Geist des Evangeliums durchdrungen sind, zur Anregung nehmen. Das Brot, das von Gott ausgewählt wurde, um sich unter uns zu vergegenwärtigen, ist von wesentlicher Bedeutung. Die Schrift lädt dazu ein, es nicht anzuhäufen, sondern es zu teilen.
Das Brot, von dem das Evangelium spricht, wird immer gebrochen. Das ist eine starke Botschaft für unser Gemeinleben: Es sagt uns, dass der wahre Reichtum nicht so sehr in der Vermehrung dessen, was man hat, besteht, sondern im gerechten Teilen mit den Menschen in unserem Umfeld. Das Brot, das gebrochen wird, erinnert an die Zerbrechlichkeit und lädt insbesondere dazu ein, sich um die Schwächsten zu kümmern. Niemand soll gebrandmarkt oder diskriminiert werden. Der christliche Blick sieht in den Hilflosen nicht eine Last oder ein Problem, sondern Brüder und Schwestern, die begleitet und behütet werden müssen. [...]
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