In der geschichtsträchtigen irakischen Stadt Ur hat Papst Franziskus für interreligiöse Verständigung geworben und Gewalt im Namen des Glaubens verurteilt. Bei einer Begegnung mit Repräsentanten unterschiedlicher Religionen hob er am Samstagvormittag – dem zweiten Tag seiner Reise – die gemeinsamen Wurzeln von Juden, Christen und Muslimen hervor. Das im Süden des Irak gelegene Ur gilt als Heimat Abrahams, auf den sich die drei Weltreligionen gleichermaßen als Stammvater berufen. Der Papst sagte in seiner Ansprache:
Liebe Brüder und Schwestern,
dieser gesegnete Ort führt uns zurück zu den Anfängen, zu den Quellen des göttlichen Werkes, zum Ursprung unserer Religionen. Hier, wo unser Vater Abraham lebte, scheint es uns, als würden wir nach Hause zurückkehren. Hier hörte er den Ruf Gottes, von hier aus brach er zu einer Reise auf, die die Geschichte verändern sollte. Wir sind die Frucht dieses Rufs und dieser Reise. Gott forderte Abraham auf, zum Himmel hinaufzusehen und die Sterne zu zählen (vgl. Gen 15,5). In diesen Sternen sah er die Verheißung seiner Nachkommenschaft, sah er uns. Und heute ehren wir – Juden, Chris ten und Muslime – gemeinsam mit den Brüdern und Schwestern anderer Religionen unseren Vater Abraham, indem wir es ihm gleichtun: Wir sehen zum Himmel hinauf und gehen unseren Weg auf Erden.
1. Wir sehen zum Himmel hinauf. Wenn wir nach tausenden Jahren den gleichen Himmel betrachten, erscheinen dieselben Sterne. Sie erhellen die dunkelsten Nächte, weil sie gemeinsam leuchten. Auf diese Weise gibt uns der Himmel eine Botschaft der Einheit: Der Allerhöchste über uns lädt uns ein, uns niemals von unserem Bruder, unserer Schwester neben uns zu trennen. Das »Über« Gottes verweist uns auf das »Andere« des Bruders, der Schwester. Wenn wir aber die Geschwisterlichkeit bewahren wollen, dürfen wir den Himmel nicht aus den Augen verlieren. Wir, Nachkommen Abrahams und Vertreter verschiedener Religionen, fühlen, vor allem diese Aufgabe zu haben: unseren Brüdern und Schwestern zu helfen, ihren Blick und ihr Gebet zum Himmel zu erheben.
Wir alle benötigen das, denn nur wir selbst genügen nicht. Der Mensch ist nicht allmächtig, allein kann er es nicht schaffen. Und wenn er Gott ausschließt, betet er am Ende irdische Dinge an. Aber die Güter der Welt, welche viele Gott und die anderen vergessen lassen, sind nicht der Grund für unsere irdische Reise. Wir richten unseren Blick zum Himmel, um uns aus den Niederungen der Eitelkeit zu erheben; wir dienen Gott, um aus der Sklaverei des Ichs herauszukommen, denn Gott drängt uns zur Liebe. Das ist wahre Religiosität: Gott anbeten und den Nächsten lieben. In der Welt von heute, die den Allerhöchsten oft vergisst oder ein verzerrtes Bild von ihm bietet, sind die Gläubigen aufgerufen, seine Güte zu bezeugen und seine Väterlichkeit durch die Geschwisterlichkeit sichtbar zu machen.
Von diesem Quellort des Glaubens aus, vom Land unseres Vaters Abraham aus bekräftigen wir: Gott ist barmherzig und die größte Beleidigung und Lästerung ist es, seinen Namen zu entweihen, indem man den Bruder oder die Schwes ter hasst. Feindseligkeit, Extremismus und Gewalt entspringen nicht einer religiösen Seele – sie sind Verrat an der Religion. Und wir Gläubigen dürfen nicht schweigen, wenn der Terrorismus die Religion missbraucht. Im Gegenteil, es liegt an uns, Missverständnisse durch Klarheit aufzulösen. Lassen wir nicht zu, dass das Licht des Himmels von den Wolken des Hasses verdeckt wird! Über diesem Land brauten sich die dunklen Wolken des Terrorismus, des Krieges und der Gewalt zusammen. Alle ethnischen und religiösen Gemeinschaften haben darunter gelitten. Ich möchte insbesondere an die jesidische Gemeinschaft erinnern, die den Tod vieler Männer zu beklagen hatte und mit ansehen musste, wie tausende Frauen, Mädchen und Kinder entführt, als Sklaven verkauft sowie körperlicher Gewalt und Zwangskonvertierungen unterworfen wurden. Heute beten wir für alle, die solche Leiden erfahren haben, für alle, die immer noch vermisst und entführt sind, dass sie bald nach Hause zurückkehren. Und wir beten dafür, dass die Gewissensfreiheit und die Religionsfreiheit überall respektiert und anerkannt werden: Dies sind Grundrechte, denn sie machen den Menschen frei, den Himmel zu betrachten, für den er geschaffen wurde. [...]
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