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archivierte Ausgabe 52/2015
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Das Altarbild der »Werke der Barmherzigkeit« (1606/07) von Caravaggio zu Neapel |
Im hellen Licht der Barmherzigkeit |
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»Die Werke der Barmherzigkeit«, 1606/07, Caravaggio (Neapel, Kirche des Pio Monte della Misericordia, Hauptaltar, Ausschnitt) |
Von Ralf van Bühren, Päpstliche Universität Santa Croce, Rom
Seit der Spätantike sind die leiblichen Werke der Barmherzigkeit ein wichtiges Element der sozialen Verantwortung und Armenfürsorge im Christentum. Theologisch gelten sie als äußere Akte der »Caritas«, der christlichen Gottes- und Nächstenliebe. Ihr literarischer Ursprung ist die biblische Perikope Mt 25, 31-46, in der sechs Werke als Gebot des Weltenrichters aufgeführt sind: Hungrige speisen, Durstige tränken, Fremde beherbergen, Nackte bekleiden, Kranke und Gefangene besuchen. Mittelalterliche Autoren fügten dieser biblischen Aufzählung, die exemplarisch zu verstehen ist, das siebte Werk »Tote begraben« hinzu.
Seit dem 12. Jahrhundert wurden die Werke der Barmherzigkeit auch in der Kunst dargestellt, vermehrt seit dem 16. Jahrhundert. Ein Hauptwerk dieser ikonographischen Tradition ist das berühmte Altarbild von Caravaggio (1571-1610) in Neapel. Das Gemälde befindet sich noch heute am ursprünglichen Ort, für den es 1606/07 im Auftrag der »Confraternità del Pio Monte della Misericordia« als Retabelbild für den Hauptaltar ihrer neuen Kirche entstand (Via dei Tribunali 253). Laut erhaltenem Vertrag erhielt der Künstler 470 Dukaten für das Bild.
Der lombardische, hauptsächlich in Rom tätige Caravaggio zählt zu den bedeutendsten Malern der europäischen Kunstgeschichte. Im Übergang vom Manierismus zum Frühbarock »revolutionierte« der Künstler die bildnerischen Mittel. Sein monumentaler und gegenstandsnaher Figurenstil im dramatischen Helldunkel begründete ein internationales Stilphänomen, das im sogenannten Caravaggismus fortwirkte.
In seinem neapolitanischen Gemälde fasste Caravaggio die Barmherzigkeitswerke im einzelnen Bildraum zusammen. Die Figuren agieren wie auf einer schmalen Bühne vor monumentaler Architekturkulisse. Hierdurch ergab sich eine gedrängte Komposition in dichter Abfolge der Werke. Ein solcher Verzicht auf die Darstellung weiträumiger Landschaften oder Stadtkulissen war für die Ikonographie der Barmherzigkeitswerke neu. Caravaggio hatte das Hochformat zu beachten, das den Anforderungen für ein Altarretabel um 1600 entsprach. Deshalb wählte er nicht das Kompositionsschema eines Bildzyklus, das sonst für das Thema üblich war.
Die »Werke der Barmherzigkeit«
Das Gemälde zeigt oben die Madonna mit Engeln und unten die sechs Barmherzigkeitswerke. Im Vordergrund hockt ein Bettler auf dem Boden und empfängt von einem jungen Mann die Hälfte eines Manteltuchs Der Wohltäter ist als Offizier gekleidet. Er trägt ein gelbes Ärmelkleid mit dunklem Längsstreifen, gelbe Hose, Federhut und braune Handschuhe (»Nackte bekleiden« am Beispiel des hl. Martin).
Die hell beschienene Wade, rechts unter dem Offizier, gehört zur hinteren Figur zweier Pilger im Mittelgrund, die einem feisten Wirt gegenüberstehen. Der Wirt weist beide nach links zur Herberge. Von einem der zwei Wanderer sind nur Partien seines Oberkörpers zu erkennen. Sein Antlitz ähnelt zeitgenössischen Darstellungen Christi. Auf seinem Haupt mit schulterlangem Haar trägt er einen Hut mit Jakobusmuschel und dem Pilgerkreuz. Seinen Wanderstab umgreift er mit beiden Händen (»Pilger beherbergen«, vielleicht am Beispiel der Emmausjünger und Christus, Lk 24, 28-29).
Hinter dem Wirt trinkt ein vollbärtiger, athletischer Mann Wasser (»Durstige tränken« am Beispiel Samuels der – nach der Schlacht gegen die Philister – seinen Durst aus dem Kinnbacken eines Esels löscht; Ri 15,15). [...]
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